Beitrag von\u00a0Prof. Dr. J\u00f6rg\u00a0Maiwald* – Mit der freundlichen Genehmigung des Autors<\/p>\n

Die Zeiten, in denen Pflege und Erziehung der Kinder allein Frauensache waren, sind endg\u00fcltig vorbei. Weil die V\u00e4ter es anders wollen und die M\u00fctter Druck machen. Weil in der Regel beide Eltern berufst\u00e4tig sind und es zur aktiven Vaterschaft kaum mehr eine Alternative gibt. Und vor allem: weil die Kinder beide Eltern brauchen. Fast jeder dritte Vater geht zumindest einige Monate in Elternzeit und nimmt das Elterngeld in Anspruch. Auch wenn immer noch ein betr\u00e4chtlicher Anteil alten Rollenmustern verhaftet bleibt, sieht doch die gro\u00dfe Mehrheit der V\u00e4ter sich nicht mehr allein in der Rolle des Ern\u00e4hrers, sondern \u00fcbernimmt \u2013 mehr oder weniger freiwillig \u2013 pflegerische und erzieherische Aufgaben im Alltag.<\/p>\n

Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, dass eine wachsende Zahl von V\u00e4tern sich auch im Falle einer Trennung nicht mit der Rolle des Besuchsvaters am Wochenende begn\u00fcgen will. Und dass immer mehr M\u00fctter ein gr\u00f6\u00dferes Engagement des Vaters ihres Kindes auch nach der Trennung einfordern. Das Wechselmodell, also eine ann\u00e4hernd gleiche Aufteilung der Betreuung und Erziehung zwischen Mutter und Vater nach Trennung und Scheidung, erscheint als logische Konsequenz. Nur: Was bedeutet dieses aus erwachsener Perspektive zun\u00e4chst einleuchtende Modell f\u00fcr ein Kind? Wird der h\u00e4ufige Wechsel zwischen zwei Lebensorten auch seinen Bed\u00fcrfnissen gerecht? Entspricht dies dem Kindeswohl?<\/p>\n

Das Kindeswohl muss Vorrang haben<\/h3>\n

Kaum ein Elternteil kann sich vorstellen, auf l\u00e4ngere Sicht zwischen zwei Lebensmittelpunkten zu pendeln. Dennoch w\u00fcnscht sich ein Teil der Eltern dieses Modell f\u00fcr sein Kind. Es muss also im Einzelfall gute Argumente geben, um zu begr\u00fcnden, dass diese Form der Betreuung tats\u00e4chlich den besten Interessen des Kindes entspricht. Denn Kinder sind kein Besitz der Eltern, den es im Trennungsfall einfach aufzuteilen gilt. Gem\u00e4\u00df Art. 3 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) ist bei allen Kinder betreffenden Ma\u00dfnahmen \u201edas Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu ber\u00fccksichtigen ist\u201c. Ein Grundsatz, der auch f\u00fcr die Eltern gilt, denn nach Art. 18 Abs. 1 UN-KRK \u201eist das Wohl des Kindes ihr Grundanliegen\u201c.<\/p>\n

Elternrecht bedeutet vor allem Elternverantwortung, die darin besteht, das Kind zu seinem Recht kommen zu lassen. Bei der Wahl des Betreuungsmodells sollten daher die Bed\u00fcrfnisse des Kindes im Vordergrund stehen. Zentral ist die Frage: Welches Betreuungsmodell kann dem Kind die gr\u00f6\u00dfte Sicherheit vermitteln, seine Eltern in m\u00f6glichst gewohntem Umfang zu behalten, ohne es dabei zu \u00fcberfordern? Betreuten bisher beide Eltern das Kind, so sollte eine \u00e4hnliche Betreuungsregelung auch weiterhin angestrebt werden, um dem Kind die gewachsenen Bindungen in bisherigem Umfang zu erhalten. Wurde das Kind jedoch ganz \u00fcberwiegend von einem Elternteil versorgt und ist dieses Betreuungsmodell ihm vertraut, so wird es diesen Elternteil vermissen, wenn es sich mehr als vorher \u00fcblich beim anderen Elternteil aufh\u00e4lt.<\/p>\n

Einschneidende Ver\u00e4nderungen der bisher praktizierten Betreuung k\u00f6nnen zus\u00e4tzliche Verlusterfahrungen zur Folge haben und dem Kind emotionale und soziale Ressourcen nehmen, die es bei der Bew\u00e4ltigung der famili\u00e4ren Trennung ben\u00f6tigt. Dabei beziehen sich die f\u00fcr das Kind belastenden \u00c4nderungen nicht nur auf den zeitlichen Umfang der Betreuung. Auch qualitative Aspekte spielen eine Rolle. Wurde das Kind beispielsweise regelm\u00e4\u00dfig von der Mutter zu Bett gebracht, w\u00e4hrend der Vater f\u00fcr andere Betreuungsaufgaben zust\u00e4ndig war, so kann eine abrupte \u00c4nderung gerade bei jungen Kindern zu Angst und Stress f\u00fchren.<\/p>\n

Fallbeispiel: Paul schl\u00e4ft bei Papa schlecht<\/h3>\n

Die Eltern des gerade zwei Jahre alt gewordenen Paul haben sich getrennt. Da Mutter und Vater berufst\u00e4tig sind, geht Paul seit einem halben Jahr in die Kita. Von Anfang an k\u00fcmmerten sich beide Eltern in etwa gleich um seine Erziehung. Dies m\u00f6chten sie auch nach der Trennung beibehalten. Die Tage von Freitag nach der Kita bis Montag fr\u00fch verbringt der Junge beim Vater, der in eine eigene Wohnung gezogen ist, die \u00fcbrigen Tage bei der Mutter. Die ersten \u00dcbernachtungen beim Vater verlaufen ungew\u00f6hnlich unruhig. Paul schl\u00e4ft lange nicht ein, wacht nachts mehrfach ver\u00e4ngstigt auf und ist von seinem Vater kaum zu beruhigen. Am Freitag vor dem dritten Wochenende l\u00f6st er sich beim Wechsel in die Kita nur sehr schwer von der Mutter und zeigt massive Trennungs\u00e4ngste.<\/p>\n

Auf das etwa h\u00e4lftige Betreuungsarrangement seiner Eltern reagiert Paul ver\u00e4ngstigt, obwohl er seit jeher mit beiden Eltern im Alltag gut vertraut ist. Offenbar \u00fcberfordert diese f\u00fcr die Eltern gerechte L\u00f6sung seine Anpassungsf\u00e4higkeit, zumal er neben der Trennung der Eltern auch noch den vor wenigen Monaten stattgefundenen \u00dcbergang in die Kita verkraften muss. Im Rahmen eines Erziehungsberatungsgespr\u00e4chs verstehen die Eltern das Verhalten ihres Kindes als normale Trennungsreaktion in einer stark belastenden Situation. Sie vereinbaren daraufhin, dass der Vater seinen Sohn nicht nur von Freitag bis Montag, sondern zus\u00e4tzlich einige Stunden an einem weiteren Tag betreut, zugleich jedoch in den ersten drei Monaten keine \u00dcbernachtung bei ihm stattfindet. Paul kommt mit der ge\u00e4nderten Regelung viel besser zurecht. Nach Ablauf der beschlossenen Frist sind \u00dcbernachtungen beim Vater dann problemlos m\u00f6glich.<\/p>\n

\u00c4ltere Kinder, die bereits intensive Bindungen zu beiden Eltern aufgebaut haben, unterst\u00fctzen nicht selten ein Wechselmodell oder fordern es sogar selbst ein. Auf diese Weise wollen sie es beiden Eltern recht machen, ohne ein Elternteil zu bevorzugen und dadurch ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Auch wenn in diesen F\u00e4llen das Pendeln zwischen zwei Lebensorten f\u00fcr das Kind zeitweise eine gute L\u00f6sung sein kann, sollten die Eltern doch aufmerksam sein, ob dieses Modell auf Dauer aufrechterhalten bleiben kann.<\/p>\n

Fallbeispiel: Lena traut sich nicht<\/h3>\n

Lena ist neun und lebt seit der Trennung ihrer Eltern vor drei Jahren im w\u00f6chentlichen Wechsel bei ihrer Mutter bzw. ihrem Vater. In den letzten Monaten ist sie h\u00e4ufig unkonzentriert und ihre schulischen Leistungen lassen nach. Als die Klassenlehrerin sie nach den Gr\u00fcnden f\u00fcr ihr Unwohlsein fragt, vertraut sie sich ihr an: \u201eBei Mama f\u00fchlt sich eine Woche immer so an, als seien nur zwei Tage vergangen. Bei Papa f\u00fchlt es sich nach zwei Tagen so an, als sei eine ganze Woche vergangen. Ich will an allen Schultagen bei Mama wohnen. Ich trau mich das aber nicht zu sagen, weil meine Eltern dann vielleicht traurig sind.\u201c
\nOffensichtlich liegt Lena viel daran, die Erwartungen ihrer Eltern nicht zu entt\u00e4uschen, auch wenn dies auf Kosten ihres Wohlbefindens geht. In diesem Fall sollten sich die Eltern darauf verst\u00e4ndigen, nicht abstrakte Gerechtigkeit, sondern das konkrete Wohl ihres inzwischen \u00e4lter gewordenen Kindes in den Mittelpunkt zu stellen. Welche \u00c4nderungen an dem eine Zeitlang funktionierenden Wechselmodell sinnvoll sind, sollte dann \u2013 eventuell mit Unterst\u00fctzung professioneller Beratung bzw. Mediation \u2013 unter altersangemessener Beteiligung des Kindes ausgehandelt werden.<\/p>\n

Wechselmodell: kindgerecht unter bestimmten Bedingungen<\/h3>\n

Welche allgemeinen Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Entscheidend ist, dass die Eltern auch nach einer Trennung die Bed\u00fcrfnisse und das Wohlergehen ihres Kindes im Blick behalten. Nicht ein abstraktes Modell der Gleichheit zwischen Mutter und Vater sollte ausschlaggebend sein, sondern die konkreten Bed\u00fcrfnisse des Kindes m\u00fcssen im Mittelpunkt stehen. Dies schlie\u00dft ein, dass das Wechselmodell nicht als Standardmodell taugt. Da dieses Modell besonders hohe Anforderungen an Eltern und Kinder stellt und von allen Beteiligten motiviert mitgetragen werden muss, sollte es auch nicht gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden.<\/p>\n

Zu den Bedingungen, unter denen ein Wechselmodell f\u00fcr das Kind eine gute L\u00f6sung sein kann, geh\u00f6ren die folgenden Punkte:<\/p>\n

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• Die Betreuungsregelungen vor und nach der Trennung sind weitgehend \u00e4hnlich (Kontinuit\u00e4tsprinzip).<\/li>\n
• Das Kind hat Bindungen an beide und positive Beziehungen zu beiden Elternteilen.<\/li>\n
• Der (hinterfragte) Wille des Kindes wird altersangemessen ber\u00fccksichtigt.<\/li>\n
• Die Wohnorte der Eltern liegen nicht weit voneinander entfernt, so dass Kita bzw. Schule und andere soziale Kontakte beibehalten werden k\u00f6nnen.<\/li>\n
• Die Eltern sind bereit und in der Lage, sich auf ver\u00e4ndernde Bed\u00fcrfnisse des Kindes einzustellen.<\/li>\n
• Zwischen den Eltern besteht ein Mindestma\u00df an \u00dcbereinstimmung, ein niedriges Konfliktpotential und ausreichend Kooperation.<\/li>\n<\/ul>\n

  Probleme mit dem Wechselmodell sind in bestimmten Altersphasen zu erwarten. Bei Kindern in den ersten etwa drei Lebensjahren ist ein Betreuungsmodell mit \u00dcbernachtungen bzw. langen Phasen der Trennung von einer Hauptbindungsperson zumeist nicht zu empfehlen. Bei Jugendlichen erweisen sich starre Absprachen generell als problematisch. Aufgrund ihrer wachsenden Verantwortungsf\u00e4higkeit sind flexible Regelungen zu bevorzugen, die in Aushandlungsprozessen direkt mit dem\/der Jugendlichen vereinbart werden sollten. Wenn sich die Eltern allerdings einvernehmlich f\u00fcr ein Wechselmodell entscheiden, die Regelung den kindlichen Bed\u00fcrfnissen Rechnung tr\u00e4gt und das Kind von zu zahlreichen Wechseln nicht \u00fcberfordert wird, kann dieses Modell f\u00fcr alle Beteiligten eine gute L\u00f6sung sein.<\/p>\n

  *Prof. Dr. J\u00f6rg\u00a0Maiwald
  \n<\/em>(Studium der Soziologie, Psychologie und P\u00e4dagogik, Gesch\u00e4ftsf\u00fchrer der Deutschen Liga f\u00fcr das Kind,\u00a0Mitbegr\u00fcnder des Berliner Kinderschutz-Zentrums, Sprecher der National Coalition f\u00fcr die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland und Honorarprofessor an der Fachhochschule Potsdam)<\/em>