In der Praxis entbrennt oftmals Streit dar\u00fcber, ob der Elternteil, bei dem sich das Kind aufh\u00e4lt, allein dar\u00fcber entscheiden kann, ob das Kind geimpft wird oder nicht. Ist der Elternteil nicht alleine sorgebrechtigt und besteht gemeinsame elterliche Sorge, so haben beide Elternteile einzuwilligen. Denn die Entscheidung dar\u00fcber, ob und in welchem Umfang ein Kind geimpft werden soll, betrifft keine Angelegenheit des t\u00e4glichen Lebens im Sinne des \u00a7 1687 BGB. Vielmehr handelt es sich um eine Angelegenheit, deren Regelung f\u00fcr das Kind von erheblicher Bedeutung ist (\u00a7 1628 BGB), weil sie mit der Gefahr von Risiken und Komplikationen verbunden ist (KG FamRZ 2006, 142). Der Kinderarzt muss darauf bestehen, dass ihm vor der Impfung eine Best\u00e4tigung beider Elternteile vorliegt. Ist dies nicht der Fall, darf der Arzt die Impfung nicht durchf\u00fchren.<\/p>\n<\/div>\n
Im Streitfall und bei fehlender Einigung der Eltern kann das Familiengericht nach \u00a7 1628 BGB zur Herbeif\u00fchrung der notwendigen Entscheidung einem Elternteil die Entscheidungskompetenz \u00fcbertragen. Ma\u00dfgeblich f\u00fcr die Entscheidung ist gem. \u00a7 1697\u2009a BGB die Frage, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen (OLG Frankfurt a.\u2009M., Beschluss vom 04.09.2015, 6 UF 150\/15).<\/p>\n<\/div>\n
Der BGH stellte j\u00fcngst nochmals ausdr\u00fccklich klar, dass es sich um keine allt\u00e4gliche Angelegenheit handelt, wenn sich gemeinsam sorgeberechtigte Eltern \u00fcber die Notwendigkeit von Schutzimpfungen f\u00fcr das Kind streiten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Eltern miteinander verheiratet sind, getrennt oder in nichtehelicher Partnerschaft mit Sorgeerkl\u00e4rung der Kindesmutter leben. Nach Auffassung des BGH ist bei der Beurteilung darauf abzustellen, ob die St\u00e4ndige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut eine solche Schutzimpfung als altersentsprechend bef\u00fcrwortet hat (Beschluss BGH vom 03.05.2017, XII ZB 157\/16).<\/p>\n<\/div>\n
In dem vom BGH am 03.05.2017 entschiedenen Fall \u00fcbten die Kindeseltern die gemeinsame elterliche Sorge f\u00fcr ihre im Juni 2012 geborenen Tochter, die im Haushalt der Kindesmutter lebt, aus. Da zwischen den Eltern Uneinigkeit \u00fcber die Notwendigkeit von Schutzimpfungen f\u00fcr ihre Tochter bestand, beantragten sie wechselseitig die Allein\u00fcbertragung der Gesundheitssorge. W\u00e4hrend der Vater die Durchf\u00fchrung der von der STIKO empfohlenen altersentsprechenden Schutzimpfungen bef\u00fcrwortete, lehnte die Mutter dies wegen m\u00f6glicher Gesundheitsrisiken ab. Das Amtsgericht \u00fcbertrug dem Vater das Entscheidungsrecht \u00fcber die Durchf\u00fchrung der Impfungen. Die Beschwerde der Mutter blieb im Wesentlichen ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht schr\u00e4nkte lediglich die Entscheidungsbefugnis des Vaters auf bestimmte Schutzimpfungen ein.<\/p>\n<\/div>\n
Der BGH wies die weitere Beschwerde der Mutter zur\u00fcck. Nach \u00a7 1628 Satz 1 BGB d\u00fcrfe das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung f\u00fcr das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen k\u00f6nnten, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung dem Elternteil \u00fcbertragen. Dabei m\u00fcsse dem L\u00f6sungsvorschlag gefolgt werden, der dem Wohl des Kindes besser gerecht werde.<\/p>\n<\/div>\n
Der BGH best\u00e4tigte die Entscheidungen der Unterinstanzen, wonach die Durchf\u00fchrung von Schutzimpfungen keine allt\u00e4gliche Angelegenheit darstelle. Diese falle nach \u00a7 1687 Abs. 1 BGB nicht in die Entscheidungsbefugnis des Elternteils, bei dem sich das Kind aufhalte, sondern sei eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung f\u00fcr das Kind. Die Entscheidung, ob das Kind w\u00e4hrend der Minderj\u00e4hrigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, falle im Gegensatz zu Angelegenheiten des t\u00e4glichen Lebens regelm\u00e4\u00dfig nur einmal an. Sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit m\u00f6glichen Komplikationen verbundene Infektionsrisiko als auch das Risiko einer Impfsch\u00e4digung belegten die erhebliche Bedeutung.<\/p>\n<\/div>\n
Das OLG\u00a0 habe den Vater mit Recht als besser geeignet angesehen, um \u00fcber die Durchf\u00fchrung der aufgez\u00e4hlten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es habe bei seiner Argumentation in zul\u00e4ssiger Weise darauf abgestellt, dass der Vater seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiere. Die Impfempfehlungen der STIKO seien vom\u00a0BGH\u00a0<\/span>bereits als medizinischer Standard anerkannt worden. Da keine einschl\u00e4gigen Einzelfallumst\u00e4nde, wie etwa bei dem Kind bestehende besondere Impfrisiken, vorl\u00e4gen, habe das OLG auf die Impfempfehlungen als vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zur\u00fcckgreifen d\u00fcrfen. Die von der Mutter erhobenen Vorbehalte, die aus ihrer Bef\u00fcrchtung einer “unheilvollen Lobbyarbeit von Pharmaindustrie und der \u00c4rzteschaft” resultierten, b\u00f6ten keinen Anlass f\u00fcr die Einholung eines gesonderten Sachverst\u00e4ndigengutachtens \u00fcber allgemeine Impfrisiken.<\/p>\n Beitrag von Rechtsanwalt Frank Baranowski
\nMit der freundlichen Genehmigung von\u00a0Baranowski & Kollegen<\/a> –\u00a0<\/em>Fachkanzlei f\u00fcr Familienrecht<\/em><\/p>\n<\/div>\n